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Flussreport: Die Havel

Das kalkulierte Risiko

havelNicht einmal zwei Autostunden nördlich von Berlin wartet ein Abenteuer für den Großstadtflüchtling, der das „kalkulierte Risiko“ liebt. Es beginnt im Zentrum der Mecklenburger Seenplatte auf einer großen Spielwiese mit einsamen Seen, verzweigten Wasserwegen und alten Kanälen. Wer will, kann sich dort wochenlang treiben lassen. Und das Beste: Wer sich vom Wasser führen lässt, findet auch jederzeit wieder zurück nach Berlin.

Wo die Havel ihren Anfang nimmt, liegt Berlin noch in einer Ferne, die nicht mit einer Kilometerzahl ausgedrückt werden kann. Von jedem Trubel fern, ist der Ort ihrer Quelle von einer nahezu magischen Stille umgeben, begleitet von einem leichten Rauschen des Windes in den Baumwipfeln. In der Nase liegt würzige Waldluft und das Land ist in sanft geschwungene Hügel eingebettet.

Kobolde und Elfen

Dieser Flecken ist so abgelegen, dass es nicht verwundern würde, wenn im nächsten Moment Kobolde und Elfen den schmalen Waldweg entlanggeschlendert kämen. In der Regel tun das aber nur hin und wieder kleinere Menschengruppen, die sich im Sommer hierher in die Einsamkeit des Müritz-Nationalparks verirren.

Nord- oder Ostsee

Die Müritz ist das Zentrum der Mecklenburger Seenplatte, und Seen sind es auch, die den Anfang der Havel markieren. Als Quelle ist der natürliche Ablauf des Mühlensees zwischen Waren und Neustrelitz anerkannt; faktisch handelt es sich aber um ein ganzes Havelquellseengebiet, das der kleine Flusslauf wie eine Perlenschnur miteinander verbindet. Überhaupt ist das so eine Sache mit der Havelquelle: Wegen eines Durchstichs am Mühlensee zum Betreiben einer Mühle wurde der natürliche Abfluss der Havelquellseen zur Ostsee gestoppt und zur Nordsee umgeleitet. Der zu diesem Zweck angelegte Staudamm gilt seitdem als Wasserscheide für beide Meere und folglich muss heute auch das südlich davon gelegene Diekenbruch als Quellgebiet der Havel gelten.

Mühlen und Havelkähne

Historisch betrachtet, markiert die Havel die Grenze zwischen dem Siedlungsgebiet der Heveller und Sprewanen – ja richtig, die von der Spree. Mit der später einsetzenden, verstärkten Besiedlung der Havelgebiete nahm im Mittelalter die Bedeutung des Flusses als Transportweg zu. Dementsprechend wurden schon sehr früh aufwändige Schifffahrtskonstruktionen ins Flussbett installiert, um entweder Mühlen zu umschleusen oder das Gefälle zu überwinden und einen ganzjährig ausreichenden Wasserstand zu realisieren. Die Havelkähne sind heute selten geworden. Aber es haben sich Relikte der Schifffahrt erhalten. Die alten Kanäle und von Dickicht überwucherten Schleusenkammern und Kaianlagen fristen heute ein Dornröschendasein.

Wasserwandern per Couch

Das lockt Entdecker aber auch Abenteurer an; besonders deswegen, weil die Havel – und das ist selten – schon 15 Wasserkilometer hinter dem Quellgebiet für Kanus befahrbar ist. Damit bietet die Havel dem Wasserwanderer das ganze Spektrum eines Flusses und stellt einen idealen Ausgangspunkt für etliche Touren auf der Mecklenburger Seenplatte dar. Außerdem ist die Havel ein so zahmes Gewässer, dass man sie theoretisch auch mit einer aufblasbaren Couch bereisen könnte – Sollte dies einer tun oder bereits getan haben, dann bitte hier umgehend Bericht erstatten (per Kommentar).

Geschubse oder Kanu-Polo?

Jeden Sommer beginnt ab Kratzeburg ein illustres Treiben auf schmalem Fahrwasser, das stellenweise mehr einem Gerangel auf dem Wasser oder einem Geschubse an der Loire gleicht, so dass man eher an Kanu-Polo als an wochenlange Wasserwanderungen in Abgeschiedenheit denkt. Aber Wasserwanderer sind ja in der Regel eine ganz umgängliche Variante Mensch – mal ganz subjektiv eingeschätzt – weshalb das Wagnis einer Havelreise auch in der Urlaubssaison ein durchaus kalkulierbares Risiko bleibt.

Maritim und klassenübergreifend

Nicht weit stromabwärts gesellen sich Sportsegler und Motorboote dazu, womit sich nun Aussteiger auf Kurzzeit und mondäne Segel- und Yachtgesellschaften gemeinsam auf den weitverzweigten Wasserflächen der Havel tummeln. Dass der Fluss nach so wenigen Kilometern diesen Raum für ein derart breitgefächertes und klassenübergreifendes Wasserleben entfaltet, liegt einerseits an seiner frühen Karriere als Wasserstraße und die damit verbundene Schiffbarmachung, und andererseits an seiner geomorphologischen Beschaffenheit. Ein äußerst gering ausgeprägtes Gefälle und die eiszeitliche Entstehungsgeschichte der Havel bedingen, dass sich der Fluss im Wechsel von weitläufigen Ausbuchtungen und Seen enorm ausdehnen konnte – Selten besitzt ein Fluss damit schon nach so wenigen Flusskilometern ein solch maritimes Flair!

Für Familien und „Low-Level-Survivals“

Eine Havelreise verbindet damit Erlebnisfaktoren, wie sie nur selten in Kombination auftreten. Allein der ständige Wechsel von Kleinfluss- und Seelandschaft spricht schon für sich. Darüber hinaus bieten sich dem Reisenden auch echte Naturattraktionen und gleichzeitig eine gut ausgebaute Infrastruktur für Familien und „Low-Level-Survivals“. An einzelnen Stationen herrscht ein idyllisches Kleinstadtleben, wie in Rheinsberg oder Fürstenberg mit ihrer exklusiven Wasserlage, die gerade den Reisenden der gehobenen Klasse gefallen dürfte, wenn noch ein Liegeplatz in den Häfen und Marinas frei ist.

Das Abenteuer geht weiter

Für Wasserwanderer ist die Havel hauptsächlich bis Berlin interessant. Doch Vorsicht ist geboten, denn bis dahin gilt es, sich durch ein weitverzweigtes Gewässersystem zu lotsen und immer wieder zwischen verschiedenen Möglichkeiten zu entscheiden. Es führen nicht alle Wege nach Berlin und talentierte Wasserkartenleser und Profis nutzen die vielen abgehenden Kanalverbindungen auch als Zubringer zur Müritz, Oder und Elbe. Auf der weiteren Strecke bis zur Mündung in die Elbe bei Havelberg ist der Fluss oft eine kanalisierte Schifffahrtsschnellstraße. Trotzdem berührt die Havel weiterhin faszinierende Seen und in ihrem Unterlauf bilden große Luchgebiete das größte zusammenhängende Binnenfeuchtgebiet Mitteleuropas. Das Abenteuer geht also weiter und Berlin ist lediglich ein großes Basiscamp an der Havel.

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  1. […] Zum Flussreport […]

    Die Havel - roadreport on Juni 25th, 2009 at 07:10
  2. Moin, ich wollte nur kurz anmerken, daß Nord – und Ostsee vertauscht wurden. Die Havel entwässert natürlich in die Nordsee 😉
    Schöne Grüße aus Kiel, Jürgen

    Jürgen Clausen on Oktober 26th, 2011 at 11:46
  3. Natürlich tut sie das. Ich habe das gleich korrigiert. Vielen Dank für den Hinweis! Zusammen geht eben vieles besser. Viele Grüße nach Kiel und weiterhin viel Erfolg mit Flussinfo.net !

    Nicolaus Widera on Oktober 31st, 2011 at 22:19

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